Die Mentees erobern den Bundestag - Zumindest für knapp drei Stunden

Politik ist was für alte Männer mit grauen Bärten und ebenso grauen wie farblosen Anzügen. So zumindest mein Kindheitsbild und erschreckend oft fügt sich dieses Bild auch heute noch in die bestehenden Realitäten ein. Und dann kommt Annalena Baerbock um die Ecke. Jung, spritzig, energiegeladen. Kein Stück grau, erst recht nicht farblos. Wer sie nicht kennt, würde sehr wahrscheinlich nicht ahnen, dass Annalena dem Ende ihrer ersten Legislaturperiode im Bundestag entgegenblickt. Und natürlich auf weitere vier Jahre hofft. Die Chancen stehen gut dafür. Und nötig hätte das altwehrwürdige Gebäude es auch. Etwas mehr vom im Leben stehen. Ein wenig mehr Frische. Und ganz sicher, mehr Frauen.

Und so findet zusammen, was zusammengehört. Auf Einladung von Annalena kommen die Teilnehmerinnen des Frauenmentoring 2017 in den Bundestag. Natürlich nur zu Besuch, aber einen Besuch der besonderen Art. Fernab der üblichen Touristenströme, begleitet und mit jeder Menge Informationen im Gepäck, von einer echten Bundestagsabgeordneten. Aber zunächst mal, wer ist eigentlich Annalena Baerbock? Annalena, 36Jahre, sitzt seit 2013 für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Ihr Kernthema ist der Klimaschutz. Kernthema heißt in diesem Fall, Klimaschutz und vieles mehr. Das wird später im Gespräch noch deutlich. Annalena ist verheiratet, hat zwei Kinder und lebt in Potsdam. Sie wird diese Nähe zu Berlin später als unglaublichen Vorteil für sich beschreiben. Schon allein, weil sie abends nach Hause fahren kann, was nur den wenigsten Abgeordneten vergönnt ist. Die Doktorandin des Völkerrechts ist seit 2005 Mitglied der Bündnisgrünen.

Annalena empfängt uns im Paul-Löbe-Haus. Der funktionale Bau beherbergt Sitzungssäle für die unterschiedlichen Ausschüsse, Büros und Sekretariate. Von hier aus geht es weiter, unterirdisch, durch ein Tunnelsystem. Die Tunnel führen zum Reichstagsgebäude oder auch zum Marie-Elisabeth-Lüders-Haus oder auch zum Jakob-Kaiser-Haus. Wir nehmen den Weg zum Reichstag. Kleine Kuriosität auf dem Weg dorthin: Telefonzellen. _Kleiner Exkurs: Für nach der Jahrhundertwende geborene. Früher war es durchaus nicht üblich mit dem eigenen Telefon durch die Welt zu laufen. Es gab, auf den Straßen übliches Bild, nur leider nicht, wenn man sie dringend brauchte, kleine, von drei Seiten verglaste Häuschen. Drinnen ein Telefon, welches mit Münzen gefüttert wurde. Und Telefonbücher in mehr oder minder brauchbaren Zustand. _ Die Telefone hängen noch, da unten im Keller. Und tatsächlich, so erzählt Annalena, werden sie auch noch genutzt. Telefoniert wird zwar meist mit dem eigenen Handy, nur schirmen die kleinen Zellen die Gesprächsteilnehmer akustisch vom Umgebungslärm ab. Und den gibt es reichlich, versichert Annalena.

Im Moment ist freilich nicht viel los. Sommerpause. Das Jahr, so Annalena, unterteilt sich für die Abgeordneten in Sitzungswochen und Wahlkreiswochen. Während der wenigstens 20 Sitzungswochen im Jahr ist Anwesenheit Pflicht. Annalena zeigt uns den Standort der Listen, in welche sich die Abgeordneten eintragen müssen, um ihre Anwesenheit zu dokumentieren. Nur warum sieht im Fernsehen der Plenarsaal manchmal trotzdem so leer aus? Weil zeitgleich oft die einzelnen Ausschüsse tagen, erklärt Annalena. Wir sind ja selbst inzwischen schon ein ganzes Stück gelaufen. Fazit: Wer in einen nicht sonderlich gut gefüllten Plenarsaal blickt, sollte an die Ausschusssitzungen denken. Und davon gibt es reichlich. Zumindest für eine kleine Fraktion. Die Anzahl der einzelnen Ausschüsse muss hier mit weniger Abgeordneten bedient werden. Und so erklärt es sich dann auch, dass Annalena eben noch für einige andere Themengebiete zuständig ist, als das besagte Kernthema. Hinzu kommen noch Arbeitskreise und Arbeitsgruppen und natürlich viele andere Termine. Wie zum Beispiel Besuchergruppen begleiten.

Die Distanz zwischen Ausschussräumen und Plenarsaal sorgt für die körperliche Fitness. Kein Wunder also, dass Annalena zwar weiß, dass es in den Gebäuden auch einen Fitnessraum gibt, ihn aber noch nie besucht hat. Bei den Wegen nicht unbedingt erforderlich. Wir haben inzwischen einen der Innenhöfe erreicht. In einem Beet können hier die Abgeordneten eine Hand voll Erde hinterlassen. Gewonnen aus ihren Heimatregionen. Interessant auch die Graffiti an den Wänden, welche überwiegend russische Soldaten nach dem Krieg hier hinterlassen haben. Oder die Säule, an der unermüdlich alle Reden, welche hier jemals gehalten wurden als Spruchbänder in Endlosschleife ablaufen. Die wie aus Schuhkartons aufgestapelten Kisten, auf denen die Namen aller jemals hier tätigen Abgeordneten stehen. Etwas versteckt der Andachtsraum.

Annalena gibt viele Informationen aber auch Anekdoten zum Besten, während wir ihr durch die weit verzweigten Gänge folgen. Natürlich hat sie es nicht immer leicht hier, jung, Frau und Mutter. Ja, noch immer haben da viele ältere Kollegen so ihre Schwierigkeiten und ja, es gibt sie auch, die wenig hilfreichen und abwertenden Kommentare. Die Arbeitstage sind oft lang, gerade während der Sitzungswochen. Und jetzt, während des Wahlkampfes, noch länger. Mutter sein und Abgeordnete, das erfordert viel Unterstützung durch die Familie, versichert Annalena. Sie kennt Abgeordnete, die ihre Mutterschaft auch nicht gern erwähnen. Man will sich den Fragen, wie schaffst du das, nicht stellen. Und die kommen auch noch immer. An die Mütter, nicht an die Väter, mit Kindern im selber Alter.

Ob sie ihre Entscheidung in den Bundestag einzuziehen jemals bereut hat? Seltsam, die Frage stellt ihr niemand. Alles an ihr spricht von ihrer Überzeugung. Die Frage stellt sich nicht, weil die Person Annalena Baerbock sie nicht stellt.

Zum Abschluss geht es rauf die Kuppel. Wir haben viel gesehen und gehört an diesem Tag. Nun der Ausblick auf das abendliche Berlin im Licht der untergehenden Sonne. Noch rasch ein Foto. Annalena muss weiter. Schade, schon vorbei. Und gut so, die Politik braucht sie, jetzt sicherlich mehr denn je.

Text und Fotos von Silvia Passow

Frauenmentoring 2017 - Was bisher geschah

Anfang März ist die diesjährige Runde unseres mittlerweile dritten Frauenmentorings gestartet.

Los ging es am 4. März mit der Auftaktveranstaltung im primadonna eV. in Potsdam. Nach einem gemeinsamen Frühstück und den Grußworten von der brandenburgischen Gleichstellungsbeauftragten Monika von der Lippe und unserer Landesvorsitzenden Petra Budke sprach Uta Kletzing, Direktorin beim EAF und Mitautorin einer Stellungnahme zum Parité- Gesetz über die Notwendigkeit einer Frauenquote. Anschließend berichtete die grüne Stadtverordnete Janny Armbuster von ihren Erfahrungen als Frau in der Potsdamer Politik.

In diesem Jahr begleitet und unterstützt das grüne Frauenmentoringprogramm 13 Brandenburgerinnen. Neben dem persönlichen Austausch mit der eigenen Mentorin können sie ihre Fähigkeiten auch bei Workshops und Coaching ausbauen. So wurden in einem Coachingblock die individuellen Stärken und Ziele definiert sowie Strategie entwickelt, um diese Ziele zu erreichen. Im Mai erlebten unsere Mentees ein Stimm-, Sprech- und Präsenztraining, um sich auf Auftritte aller Art vorzubereiten.

 

Fotos: Tina Beil; Guido Sutthoff

  • Foto: Guido Sutthoff
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