Zehn Jahre nach Fukushima entstehen in Brandenburgs Nachbarschaft neue Kernkraftwerke

JULIA SCHMIDT: „Die Atomkatastrophe von Fukushima hätte uns eine Lehre sein sollen. Doch zehn Jahre danach bringt die polnische Regierung die Menschen wieder in Gefahr – unterstützt von unserer tatenlos und schweigend zuschauenden Bundesregierung. Käme es in dem geplanten polnischen Atomkraftwerk in Zarnowiec/Kopalino zu einem Unfall, so würde die Strahlung mit einer Wahrscheinlichkeit von 20% auch Städte und Gemeinden in Brandenburg bzw. Deutschland treffen. Dieses Risiko dürfen wir nicht eingehen."

Am 11. März 2011 führten ein Erdbeben und der folgende Tsunami zu Kernschmelzen und Explosionen in den Reaktorgebäuden im japanischen Atomkraftwerk Fukushima. Die Folgen der Atomkatastrophe waren verheerend. Zehn Jahre später plant Polen neue Atomkraftwerke in Brandenburgs unmittelbarer Nachbarschaft. Ein Unfall könnte für hunderttausende Brandenburger:innen Evakuierung und Heimatverlust bedeuten, selbst wenn er weniger schwer ausfiele als Fukushima. Zu diesem Schluss kommt eine Studie (im Anhang), die im Auftrag der bündnisgrünen Bundestagsfraktion erstellt wurde. Die Bundesregierung hingegen blieb weitgehend untätig. 

Dazu sagt die Landesvorsitzende von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Brandenburg, JULIA SCHMIDT:

„Die Atomkatastrophe von Fukushima hätte uns eine Lehre sein sollen. Doch zehn Jahre danach bringt die polnische Regierung die eigene Bevölkerung und auch die Menschen in Brandenburg wieder in Gefahr – unterstützt von unserer tatenlos und schweigend zuschauenden Bundesregierung.  Die Studie, welche die möglichen Auswirkungen eines Unfalls im geplanten Kernkraftwerk in der Region Zarnowiec/Kopalino untersucht hat, kommt zu erschreckenden Ergebnissen: Käme es in dem geplanten polnischen Atomkraftwerk zu einem Unfall, so würde die Strahlung mit einer Wahrscheinlichkeit von 20% auch Städte und Gemeinden in Deutschland treffen. Dieses Risiko dürfen wir nicht eingehen, weder aus Brandenburger, noch aus polnischer Sicht.“ 
 
Für die Untätigkeit der Bundesregierung hat JULIA SCHMIDT kein Verständnis: 

„Angesichts der Bedrohungslage ist es unbegreiflich, dass die Bundesregierung keinerlei Eigeninitiative erkennen lässt. Weder die polnische noch die deutsche Regierung wollten die Bevölkerung angemessen über die Atomkraftpläne in unserem Nachbarland informieren. Die Bundesregierung hat erst dann zaghaft reagiert, als es zu spät war. Das laue Lüftchen aus Berlin taugt nicht als Gegenwind. Der internationale Auftritt der Bundesregierung beim Atomausstieg ist erbärmlich: Anstatt stolz hinter Atomausstieg und Energiewende zu stehen und Europa bei diesem Zukunftsprojekt schwungvoll mitzunehmen, schweigt die GroKo den Atomausstieg duckmäuserisch tot. Die Rechnung dafür tragen nun die Brandenburgerinnen und Brandenburger, wenn in Polen neue Atomkraftwerke hochgezogen werden. Trotz Atomausstieg schwebt das Damoklesschwert einer Atomkatastrophe weiter über den Menschen in Brandenburg.

Die Bundesregierung hat das Kind sehenden Auges in den Brunnen fallen lassen. Wir Bündnisgrüne in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern sowie auf Bundes- und auf Europaebene suchen nun den Schulterschluss mit Partner:innen in der polnischen Zivilgesellschaft, um gegenzusteuern, wo wir können. Transparenz und die Einhaltung von Umweltstandards sind das Mindeste.“


Hintergrund:

Die Studie „Modeling of a Hypothetical Major Nuclear Accident in Poland from 1.096 Meteorological Situations and Analysis of Transboundary Environmental Impacts for European Countries and Their Inhabitants“ des Institute Biosphère berechnet eine 20%-ige Wahrscheinlichkeit, dass Städte und Gemeinden in Deutschland von einem Unglück im den geplanten Atomkraftwerk bei 20% der denkbaren Szenarien stark betroffen wären. Brandenburger Städten und Gemeinden wie Frankfurt (Oder) oder Schwedt droht die Evakuierung. Im Worst Case wären 1,8 Millionen Deutsche einer Strahlung von über 20 mSv ausgeliefert. Bei diesem Wert wurden um Fukushima herum ganze Landstriche evakuiert. Doch selbst wenn nicht vom schlimmsten Fall ausgegangen wird, sondern von einer ‚durchschnittlichen‘ Katastrophe, dann müssten unter Umständen etwa 200.000 Menschen in Deutschland ihre Häuser für mindestens ein Jahr verlassen. Auf polnischer Seite wäre das Leid noch um ein Vielfaches schlimmer, wir sprechen hier von unzähligen Opfern und Vertriebenen.

Polen wäre im Rahmen der so genannten Espoo-Konvention verpflichtet gewesen, andere Länder, die unmittelbar von Polens Energie- und Atomplanung betroffen sind, ausreichend zu konsultieren und den Menschen dort im Rahmen der Strategischen Umweltplanung ein Mitspracherecht einzuräumen. Österreich hat sein gutes Recht darauf aktiv eingefordert. Deutschland, als Vorreiter:in des Atomausstiegs in Europa, hat dies nicht getan. Die Bundesregierung ignorierte die Atompläne in unserem Nachbarland, und deren Folgen für unsere Bevölkerung, weitgehend. Erst als die von der bündnisgrünen Bundestagsfraktion beauftragte Studie die verheerenden Folgen nachgewiesen hatte, hat die Deutschland seine Betroffenheit angemeldet. Dies geschah am Tag des Ablaufs der Frist, und politisch gesehen wesentlich zu spät. 
 

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