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11.06.14 –
Am 11.06.2014 wurde im Landtag Brandenburg eine von uns gemeinsam mit der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus in Auftrag gegebene Studie vorgestellt.
Anwesend waren:
Friedrich Thießen, Professor für Finanzwirtschaft und Bankbetriebslehre, TU Chemnitz
Axel Vogel, Fraktionsvorsitzender B90/DIE GRÜNEN Brandenburger Landtag
Ramona Pop, Fraktionsvorsitzende B90/DIE GRÜNEN Berliner Abgeordnetenhaus
Oliver Krischer, stellv. Fraktionsvorsitzender B90/DIE GRÜNEN im Deutschen Bundestag
Das Projekt BER droht zwei Jahre nach dem sogenannten Neustart völlig aus dem Ruder zu laufen: Wann der Flughafen fertig wird, ist derzeit genauso offen, wie die Frage, wie hoch die Kosten sein werden, die von ursprünglich 2 Milliarden auf inzwischen über 5 Milliarden Euro angestiegen sind. Auch die Lärmschutzmaßnahmen für die Anrainer kommen kaum voran, viele stark betroffene Gebäude lassen gar nicht ausreichend schützten.
Doch wie können die ausufernden Kosten für die öffentliche Hand und die den Anrainern drohenden Gesundheitsschäden begrenzt werden?
Zur Klärung dieser Fragen haben die Fraktionen von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Brandenburger Landtag, im Berliner Abgeordnetenhaus und im Deutschen Bundestag eine Studie bei dem Chemnitzer Finanzwissenschaftler Friedrich Thießen in Auftrag gegeben, der das Projekt unter betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Gesichtspunkten untersucht hat. Herangezogen wurden u. a. auch das prognostizierte Luftverkehrsaufkommen sowie Daten zu vergleichbaren Flughäfen.
Zusammengefasst führt die Studie zu folgenden Ergebnissen:
Der Flughafen BER wird nicht in der Lage sein, die Investitionen in Höhe von aktuell mindestens 5 Mrd. EUR zu refinanzieren.
Aufgrund von Fehlern während der Bauphase müssen für den BER Mehrinvestitionen getätigt werden. Während für einen Flughafen mit einer Kapazität von 30 Mio. Fluggästen (PAX) pro Jahr etwa 3,5 Mrd. Euro Investitionsvolumen „normal“ sind, wird am BER nach dem Kenntnisstand vom Frühjahr 2014 etwa 4,7 Mrd. Euro investiert werden müssen, um diese Kapazität zu erreichen. Aber auch noch höhere Werte stehen im Raum. Vergleicht man den BER bei angenommen ähnlicher Erlös- und Kostenstruktur mit anderen Flughäfen ergibt sich bei einem Investitionsvolumen von 4,7 Mrd. folgendes Bild:
Trotz des positiven Nettozuflusses liquider Mittel (Cashflow) von 31 Mio. Euro pro Jahr wird die Flughafengesellschaft FBB bedingt durch den Wertverzehr einen Jahresverlust von rund 159 Mio. Euro verzeichnen. Kleinere Erweiterungs- und Ersatzinvestitionen können getätigt werden. Aber es baut sich kein Kassenbestand auf, der eine Erneuerung des Flughafens ermöglichte. D.h., der Flughafen wird auf Verschleiß betrieben und der Steuerzahler muss für eine grundlegende Erneuerung wieder das Kapital bereitstellen.
Die den Berechnungen zugrunde gelegte Ertragslage ist jedoch noch ein kritischer Punkt. Das Berliner Flughafensystem hat etwa zur Hälfte mit preiskritischen touristischen Reisenden zu tun. Die Erlöse pro Fluggast waren im Vergleich zu anderen Flughäfen in der Vergangenheit sehr niedrig. Wenn sich die Erlössituation am neuen BER nicht um mindestens 50% verbessert, dann käme es nicht zu diesem positiven Cashflow.
Der betriebs- und volkswirtschaftliche Nutzen eines geplanten Nachtfluges am BER kann nicht bestätigt werden.
Die Wachstumsraten am nachtflugbeschränkten Flughafen Tegel haben in den letzten Jahren Rekorde gesprengt, während die Zahlen am nicht nachtflugbeschränkten Flughafen Schönefeld-alt stagnieren. Tegel hat heute eine Passagierzahl, die weit über derjenigen liegt, welche die FBB-Gutachter Baum, Kurte und Esser für die 2020er Jahre, inklusive Nachtflug vorhergesagt haben. Das sind Indizien dafür, dass die Wirkungen des Nachtflugverbotes nicht richtig abgeleitet wurden.
Tatsächlich ist auch bei interkontinentalen Langstreckenflügen ein nennenswerter Nachtflugbedarf nicht herleitbar, denn Europa hat im Kontext der anderen Erdteile eine Lage durch die (nur) Tagankünfte und -starts international zu einem guten Gesamtsystem führen.
Wird die Zeitverschiebung beachtet, können Flüge, die von der Westküste der USA am Morgen abfliegen, nachmittags an der Ostküste sein. Von der Ostküste starten die Flugzeuge am Abend und kommen am Morgen oder Vormittag in Europa an. Am Nachmittag gehen die Flüge zu den Drehkreuzen in Nahost, kommen dort gegen Mitternacht an und haben Anschlussflüge in der Nacht nach Fernost und kommen dort am frühen Vormittag an. Anschlussflüge von Singapur nach Japan gehen am Vormittag ab und kommen am späten Nachmittag/frühen Abend in Japan oder Australien an.
Dieses System hat sich international eingependelt und ermöglicht es, in Europa Interkontinentalverkehr ohne Nachtflugstarts- und Landungen durchzuführen.
Gerade die Region um Berlin ist für ein Nachtflugverbot ideal geeignet. Denn die Lage des Ballungsraums Berlin ist derart solitär, dass Airlines vernünftigerweise nicht auf andere Flughäfen ausweichen können. Das ist ein erheblicher Vorteil für ein Nachtflugverbot. Es bedeutet nämlich: Sollte eine Airline wegen Flugbeschränkungen aus Protest ihren Verkehr von/nach Berlin einstellen, wird eine andere Airline umgehend die Nachfrage in den erlaubten Zeiten decken, wenn eine ausreichende Kapazität vorhanden ist.
Potentielle Erweiterungen für mehr Wachstum haben keine signifikanten gewinnerhöhenden bzw. verlustreduzierenden Auswirkungen und machen deshalb aus betriebs- und volkswirtschaftlicher Sicht keinen Sinn.
Der Luftverkehr erscheint in vielen Gutachten als Ursache von Wirtschaftswachstum und Beschäftigung. Hinter vielen Begutachtungen stehen aber Interessen, welche zu einer Verfälschung der Ergebnisse führen. Die OECD hingegen beschreibt die Bedeutung der Flughäfen für die Wirtschaft als „underwhelming“: Der Luftverkehr ist nicht Antreiber von wirtschaftlicher Entwicklung, sondern entwickelt sich dort gut, wo die Wirtschaft gut läuft (umgekehrte Kausalität).
Für den BER ist zu prognostizieren, dass ein kleiner positiver Beschäftigungseffekt im unmittelbaren Umfeld zu verzeichnen sein wird, weil Mitarbeiter die Nähe zum Arbeitsort vorziehen. Dieser Beschäftigungseffekt kannibalisiert aber die Beschäftigung anderswo in Berlin.
Es wird behauptet, dass weiteres Wachstum am BER die wirtschaftlichen Probleme des Flughafens löse. Viele Kosten- und Erlöspositionen sind aber an die Verkehrsleistung gekoppelt, sodass Wachstum sowohl die Erlöse als auch die Kosten erhöht und netto keinen Vorteil darstellt. Dazu kommt, dass bei Wachstum ständig in Erweiterungskapazitäten investiert werden muss. Ein Flughafen, der sich wie der BER bei ausgelasteten Kapazitäten in der Verlustzone befindet, wird durch Wachstum also den Verlust nur vergrößern. Die Simulationen auf der Basis branchenüblicher Kosten- und Erlösrelationen zeigen, dass die Ertragskraft des Flughafens durch ein höheres Wachstum der Passagierzahlen als die von Experten geschätzten durchschnittlichen 2,3% pro Jahr kaum gesteigert werden kann.
Die Aussichten auf eine Drehkreuzfunktion des BER werden mit und ohne Nachtflugverbot als verschwindend gering eingestuft.
Nur 20 Prozent des weltweiten Luftverkehrsaufkommens sind Umsteigeverkehr. In Deutschland wurde 2013 ein Umsteigeverkehr von rund 49 Mio. Passagieren pro Jahr, 24 Prozent des Gesamtaufkommens, gezählt. Davon wickelten die beiden Drehkreuze Frankfurt und München rund 47 Mio. Umsteigepassagiere, also fast 96 Prozent des Umsteigeverkehrs ab. Beide Drehkreuze in Deutschland sind Drehkreuze der Lufthansa mit ihren Tochterfirmen und den Allianzpartnern.
Die Bildung eines weiteren Drehkreuzes in Deutschland, bei dem bereits hohen Anteil von 24 Prozent Umsteigeverkehr kann sich nur zulasten der Lufthansa durch eine andere Airline entwickeln. Um ein primäres Drehkreuz wirtschaftlich bilden zu können, muss der interkontinentale Verkehr am lokalen Verkehrsaufkommen einen Anteil von etwa 20 Prozent haben. In Berlin beträgt dieser Anteil weniger als 5 Prozent am Gesamtaufkommen.
In der 2013 in den Medien diskutierten Prognose des Beratungsunternehmens Intraplan wird für 2025 ein Umsteigeranteil von etwa 17 Prozent für den BER (etwa 5,1 Mio. Transferpassagiere pro Jahr) angenommen. 2013 betrug der Umsteigeranteil am lokalen Aufkommen in Berlin laut FBB 5 Prozent - also 1,3 Mio. Transferfluggäste pro Jahr- von 26,7 Mio. Passagieren pro Jahr. Um den Anteil von 17 Prozent zu erreichen, müsste der Transferverkehr jährlich um 24 Prozent zunehmen. Würde dieses Prognoseszenario zutreffen, fände der Zuwachs des Passagieraufkommens ausschließlich im Transferverkehr statt, während der Originärverkehr sogar leicht rückläufig wäre. Dies ist ein eher unwahrscheinliches Szenario.
Schlussfolgerung:
Aufgrund der ungünstigen Lage des BER in dicht besiedeltem Gebiet, viel zu hohen Investitionskosten, einer ungünstigen Kostenstruktur und einer in absehbarer Zeit nicht benötigten Drehkreuzfunktion kommen die Auftraggeber im Ergebnis der Studie zu folgenden Schlüssen:
Die vollständige Studie kann hier runtergeladen werden.
Kategorie
Pressemitteilung Landtagsfraktion