Beschluss: Ein neues Kapitel für Brandenburg.

 

Bündnisgrüne diskutieren Regierungsbeteiligung: 81 Prozent der Delegierten auf dem Sonderparteitag befürworten Koalitionsvertrag

Petra Budke: Ihr Mitglieder entscheidet, ob wir neue Wege in der Gestaltung bündnisgrüner Politik gehen wollen

Entscheidend ist allerdings allein die Urabstimmung unter den rund 1.940 Mitgliedern, die seit dem 5. November und bis zum 16. November läuft. „Nachdem BÜNDNIS 90 von 1990 bis 1994 schon einmal mit SPD und FDP regiert hat, wir dann 15 Jahre außerparlamentarische Politik gemacht haben und zuletzt zehn Jahre konstruktive Oppositionsarbeit, stehen wir nun vor der Entscheidung, ob es in Brandenburg wieder eine Regierungsbeteiligung mit uns Bündnisgrünen geben soll“, sagte Landesvorsitzende Petra Budke zur Begrüßung. „Ihr werdet in einem Mitgliederentscheid darüber abstimmen, ob wir damit neue Wege in der Gestaltung bündnisgrüner Politik in Brandenburg gehen wollen.“

Das Ergebnis soll am 18. November verkündet werden. Auf dem Stimmzettel können die Mitglieder ebenfalls darüber abstimmen, ob Axel Vogel und Ursula Nonnemacher im Falle der Annahme des Koalitionsvertrages die bündnisgrünen Minister*innen werden sollen.

 

Meilensteine im Koalitionsvertrag

In dem 84 Seiten umfassenden Koalitionsvertrag haben sich die drei Parteien darauf geeinigt, dass es keine neuen Tagebaue in der Lausitz mehr geben soll und somit keine weiteren Dörfer abgebaggert werden. Die Koalitiospartner bekennen sich zur Umsetzung des Pariser Klimaabkommens und haben sich auf eine verbindliche Klimastrategie geeinigt. Die Kitas sollen mit mehr Personal ausgestattet und in den kommenden fünf Jahren für Kinder von drei bis sechs Jahren beitragsfrei gestellt werden. Zudem sollen mehr Lehrer*innen, Polizist*innen, Richter*innen und Staatsanwält*innen eingestellt werden. Mit einem Zukunftsinvestitionsfonds in Höhe von einer Milliarde Euro in den kommenden zehn Jahren wollen die Koalitionäre weitere Investitionen in den Öffentlichen Personen- und Schienennahverkehr, den Neubau von Schulen und Kitas, in das Gesundheitswesen, die Digitalisierung und den Klimaschutz vornehmen. 50 von 51 Projekten des bündnisgrünen Wahlprogramms sind in dem Koalitionsvertrag durchgesetzt worden, teils modifiziert – allein die Entkriminalisierung von Cannabis in Mengen von bis zu 15 Gramm wie in Berlin ist den Brandenburger Bündnisgrünen nicht gelungen.

 

Nonnemacher: „Der Koalitionsvertrag trägt eine deutlich bündnisgrüne Handschrift, ist aber natürlich keine hundertprozentig grüne Agenda – Kompromisse sind nicht Verrat an der eigenen Sache.“

Ursula Nonnemacher, Fraktionsvorsitzende und Verhandlungsführerin der Koalitionsgespräche, betonte, dieser Koalitionsvertrag trüge eine deutlich grüne Handschrift. Nonnemacher zählte den Pakt für die Pflege auf, der 30 Millionen Euro pro Jahr vorsehe, was bundesweit beachtet werden, den Erhalt aller Krankenhausstandorte und die Weiterentwicklung zu modernen ambulant-stationären Gesundheitszentren. Das Aufnahmeprogramm für Syrien werde verlängert, aus Seenot gerettete Geflüchtete aufgenommen. Zudem hätten die Bündnisgrünen eine Polizeibeschwerdestelle und eine unabhängige Polizeibeauftragten im Landtag durchgesetzt. Dennoch wandte Nonnemacher ein, man hätte sich nicht überall durchsetzen können. „Beim Antidiskriminierungsgesetz beispielsweise, wo es lediglich einen Prüfauftrag gibt. Wir konnten kein Verbandsklagerecht für Tierschutzverbände und kein Transparenzgesetz erreichen. Nein, das ist natürlich keine hundertprozentig grüne Agenda! Aber wie sollte es auch anders sein, wenn drei Parteien ihre Programmatik berücksichtigt sehen wollen? Hier mussten zwangsläufig Kompromisse gefunden werden. Und ich sehe Kompromisse hier nicht als Verrat an der Sache an, sondern als wesentlich dafür, dass unser demokratisches System überhaupt funktioniert.“

 

Clemens Rostock: Richtungswechsel in der Verkehrspolitik

Zur Verkehrspolitik äußerte sich der Landesvorsitzende Clemens Rostock: „Im Verkehrsbereich wir nicht gekleckert, sondern geklotzt. Der Schienenverkehr wird deutlich ausgeweitet. Durch Mehrbestellungen auf der aktuellen Infrastruktur, durch die Weiterführung von i2030 und den Ausbau und Streckenreaktivierungen darüber hinaus.“ Auch finanziell gebe es deutliche Fortschritte. So sollen zukünftig die Regionalisierungsmittel vollständig in die Bestellung von Zugleistungen fließen, die Mittel für den Busverkehr jährlich erhöht und die Landesmittel für den Radverkehr auf 20 Millionen Euro pro Jahr erhöht werden. „Mit der Aufstockung der finanziellen Mittel und der Einführung von selbstständigen, also straßenunabhängigen Radwegen, haben wir einen Paradigmenwechsel eingeleitet, der nachhaltig wirken kann.“

 

Axel Vogel: „Wir brauchen eine Ausbildungsoffensive und aktive Zuwanderungspolitik.“

Auch der Fraktionsvorsitzende Axel Vogel hob hervor, diese Regierungsverantwortung berge viele Chancen. Die prioritären Maßnahmen seien finanziert, wie die Verbesserung der Kita-Qualität oder die Personalverstärkung in Schulen und Gerichten. „Aber Stellen und Geld reichen nicht. An allen Ecken und Enden fehlen qualifizierte Mitarbeiter*innen: Egal ob Lehrkräfte, Erzieherinnen, Polizisten oder Tierärzt*innen. Wir brauchen mehr Menschen in diesem Land, deshalb müssen wir auch eine aktive Zuwanderungspolitik betreiben - auch das steht im Vertrag.“ Vogel, der als Minister für Landwirtschaft, Umwelt und Klimaschutz bereit stünde, sagte weiterhin, die Verteidigung des Status quo sei keine Strategie für eine zukunftsorientierte Landwirtschaft. „Die Konzentrationsprozesse in der Landwirtschaft laufen bislang ungebremst ab. Wenn sich die Landwirtschaftspolitik nicht grundlegend ändert, dann werden sich bei der Jahresversammlung des Landesbauernverbands in 20 Jahren statt Brandenburger Bauern nur noch 40 Geschäftsführer landwirtschaftlicher Holdings treffen. Egal ob Insektenschutzplan, Moorschutzprogramm, Nutztierstrategie oder Ökoaktionsplan - wir wollen gemeinsam mit den Landwirt*innen für eine moderne Landwirtschaft kämpfen.“

 

Kritik von der Grünen Jugend: „Wir baden aus, was uns seit Jahren als Kompromiss verkauft wird.“

Doch in die mehrheitliche Freude, gemeinsam mit SPD und CDU einen Koalitionsvertrag mit sehr vielen bündnisgrünen Inhalten zuwege gebracht zu haben, mischten sich auch kritische Einwände, allen voran von der GRÜNEN JUGEND. Ihr gehen die Regelungen zum Klimaschutz nicht weit genug. Die Regelungen zum Ausbau der Windkraft auf eine Leistung von 10.500 Megawatt seien zu wenig und bereits von der damaligen Landesregierung angestrebt worden. „Dieses Weiter-so ist für unsere Generation nicht akzeptabel“, meinte Gerrit Prange, Sprecher der Grünen Jugend. „Wir müssen eine Kröte nach der anderen schlucken. 10.500 Megawatt als Erfolg zu feiern, erzeugt nichts als Frustration. Geflüchtete aus Afghanistan zu erwähnen, das wäre mutig gewesen - stattdessen werden sie ins unsichere Herkunftsland zurückgeschickt. Warum sollten wir Menschen einer bestimmten Konfession bevorzugen und woher kommt die Zahl 200? Hier ist keine bündnisgrüne Handschrift erkennbar.“ Zudem würde die GRÜNE JUGEND ein gesetzliches Verbandsklagerecht für Tierschutzverbände oder geschlechtergerechte Repräsentation der Frauen im Parlament. Anerkennend äußerte sich die GRÜNE JUGEND über den Ausstieg aus der Braunkohle, sowie den beherzten Ausbau des Radverkehrs mit 20 Millionen Euro pro Jahr aus Landesmitteln, sogar 30 Millionen Euro zusammen mit Bundesmitteln.

 

Stehenden Ovationen für Marianne Birthler: „Ich wünsche euch eine weise Entscheidung, Kraft, Geduld und vor allem Erfolg!“

Auch Marianne Birthler, die ehemalige Bildungsministerin in Brandenburg für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und langjährige Beauftragte für die Unterlagen der Staatssicherheitsbehörde, empfahl den Brandenburger Bündnisgrünen, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Sie mahnte als Gastrednerin anlässlich des historischen Datums 9. November 1989, 30 Jahre nach dem Mauerfall: „Nur, wer Offenheit und Freiheit schätzt, hat deshalb das moralische Recht, sich heute auf die Revolution vom Herbst 1989 zu berufen. Wer dagegen seinem Hass freien Lauf lässt und das Leben anderer mit Worten oder Taten bedroht, ist nicht besser als die Stasi, die Menschenleben zersetzte und zerstörte. Und wer glaubt, aufgrund seiner Herkunft oder Hautfarbe mehr wert zu sein und mehr Rechte zu haben als andere, verrät die Idee der 89er Revolution ebenso wie die Werte unseres Grundgesetzes.“ Die Parteimitglieder bedankten sich bei Marianne Birthler, Vorkämpferin für BÜNDNIS 90 in der ersten Landesregierung, mit stehenden Ovationen.

 

Jan Philipp Albrecht: „Die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft hängt radikal von den Bündnisgrünen ab“

Jan Philipp Albrecht, Minister für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung in Schleswig-Holstein, berichtete von Regierungserfahrungen in einer Jamaika-Koalition und wünschte den Bündnisgrünen viel Erfolg. „Was wir brauchen, sind starke Grüne in den Länderparlamenten und in den Länderregierungen, um die Bundesebene voranzutreiben.“ Die Zukunftsfähigkeit der Landwirtschaft hänge radikal davon ob, ob sich die Grünen mit ihren Vorstellungen zur Agrarwende durchsetzen könnten oder nicht. „Denn all die jungen Menschen da draußen, die wissen ganz genau, ihre Zukunft hängt massiv davon ab, ob wir Boden, Natur und Gewässer effektiv schützen.“ Er riet dazu, Verantwortung für eine offene, integrative Gesellschaft zu übernehmen.

Das Protokoll der Landesdelegiertenkonferenz findet ihr hier.